Nizza, 10. September 2023 - Ein WM Rennen für die Geschichtsbücher. Nicht nur, weil es die erste Austragung nach Bekanntgabe der räumlichen und zeitlichen Aufteilung des Frauen- und Männerrennens war. Mit Sam Laidlow gewinnt erstmals ein Franzose den WM Titel bei seiner "Heim-WM" und Jan Frodeno feiert seinen großen Abschied vom Triathlon-Profisport. Eine Zusammenfassung des Geschehens.
DAS SCHWIMMEN
Pünktlich um 6:50 Uhr am Morgen fällt am Plage de Ponchettes der Startschuss für die Profi-Männer. Jan Frodeno geht mit Startnummer 1 und der goldenen Badekappe ins Rennen. Patrick Lange trägt Startnummer 2 auf dem Oberarm und ist anhand der hellblauen Badekappe zu erkennen. Die 3,8 Kilometer lange Schwimmstrecke ist ein doppelter Rechteck-Kurs in Form eines großen "M", die erste Wendeboje 900 Meter entfernt und bietet dem Feld viel Raum für Entfaltung.
Zunächst ist es der Neuseeländer Braden Currie, der das Tempo macht. Jan Frodeno hält sich taktisch klug in den vorderen Positionen des Feldes auf. Nach wenigen hundert Metern übernimmt dann Sam Laidlow die Führung und erhöht merklich das Tempo. Eine 12-köpfige Spitzengruppe kann sich dadurch vom Rest des Feldes absetzen, Frodeno schwimmt an den Fersen von Laidlow. Patrick Lange verpasst allerdings den Anschluss an diese Gruppe und führt die Verfolger mit einer knappen Minute Rückstand an. Am Ende der Schwimmstrecke ist es sogar Jan Frodeno, der die Führung vom Franzosen Laidlow übernimmt und als Erster nach 47:47 Minuten aus dem Wasser steigt. Patrick Lange liegt ewtas über eine Minute dahinter. Nicht optimal, aber auch noch nicht rennentscheidend.
DAS RADFAHREN - GANZ ANDERS ALS AUF HAWAII
Die Spitzengruppe geht mit wenigen Sekunden Abstand untereinander auf die Radstrecke. Ärgerlich: bei Jan Frodeno reißt der Aero-Einteiler unter der Achsel auf, als er die Oberkörperpartie in der Wechselzone überstreift. Es scheint ihn nicht zu stören, Frodeno sortiert sich auf Position fünf ein. Patrick Lange verlässt die Wechselzone mit ca. 90 Sekunden Rückstand auf die Spitze. Nun schlägt die Stunde der Franzosen bei ihrer "Heim-WM". Clement Mignon und Sam Laidlow übernehmen die Führung des Rennens und setzen sich von den restlichen Atheleten der ehemaligen Spitzengruppe ab. Ihr Vorteil: die Strecke. Bereits nach wenigen Kilometern geht es in die Berge - die ersten Anstiege, Abfahrten, kurviges Terrain, man ist schnell außer Sichtweite.
Auch Jan Frodeno lässt die beiden ziehen. Nach knapp 40 Kilometern geht er gemeinsam mit Gregory Barnaby, Bradley Weiss, Rudy Von Berg und Niek Heldorn in den 18 Kilometer langen Anstieg hinauf zum Col de l'Ecre. Die Ausreißer haben zu diesem Zeitpunkt bereits über zwei Minuten Vorsprung auf die Verfolger herausgearbeitet. Patrick Lange fährt auf Position 16 mit ca. 3:30 Minuten auf die Spitze. Magnus Ditlev und Cameron Wurf sind die einzigen Athleten, die keine Zeit auf die beiden Spitzenreiter verlieren und sich damit durch das Verfolgerfeld nach vorn arbeiten. Erneuter Schreck für Frodeno: an einem Speed-Bump verliert er seine Flasche aus dem Halter hinter dem Sattel.
Ganz anders als auf Hawaii
Auf dem Rad entwickelt sich durch das Streckenprofil ein sehr dynamisches Renngeschehen: ständig wechselnde Konstellationen, Positionen gewinnen und verlieren, Lücken gehen auf und werden wieder geschlossen. Die einige Konstante: Sam Laidlow macht richtig Druck von vorn. Er hat sich mittlerweile auch von seinem Landsmann Clement Mignon nun abgesetzt fährt nach 100 Kilometern bereits mit über 4 Minuten Vorsprung auf die Konkurrenz allein in Führung. Magnus Ditlev, Rudy von Berg und Cameron Wurf sind die nächsten Verfolger. Patrick Lange hat die Lücke zu Jan Frodeno geschlossen, beide zur Halbzeit der Radstrecke zusammen unterwegs mit etwas über 10 Minuten Rückstand auf Laidlow. Die zweite Hälfte des Rennes entwickelt sich...
Nun geht es richtig zur Sache: Patrick Lange konnte sich gerade in den steilen Abschnitten von Jan Frodeno absetzten. Frodeno hat heute nicht die Radbeine, um ganz vorn mitzufahren. Vorn das gewohnte Bild: Sam Laidlow geht mit einem riesigen Vorsprung in die langgezogene Abfahrt zurück zur Küste nach Nizza und damit zum zweiten Wechsel. Fünf Minuten dahinter folgen Rudy von Berg, Magnus Ditlev und Cameron Wurf. Patrick Lange konnte sich mit einem starken zweiten Teilabschnitt in den Bergen auf Position 8 vorarbeiten, hat jedoch nach 150 Kilometernn bereits über 11 Minuten Rückstand auf den Führenden.
Sam Laidlow erreicht nach 180 harten Radkilometern als Erster die Wechselzone, dahinter lange nichts. Es folgen von Berg, Ditlev und Wurf unverändert mit fünf Minuten. Patrick Lange erreicht die Wechselzone als Siebter mit 12:30 Minuten Rückstand auf Laidlow - das ist ein Brett!
Schnitt. Jan Frodeno im Bild.
Was ist mit Jan Frodeno? In seinem letzten Rennen läuft es für Frodo nicht so rund wie gewünscht. Das Kameramotorrad fängt einen scherzenden Jan Frodeno kurz vor der Wechselzone ein mit den Worten des Tages: "Ein Gladiator stirbt in seiner Arena." Er weiß, dass er mit dem Ausgang des Rennens nichts mehr zu tun hat. Nach dem Wechsel nimmt er sich auch die Zeit, um seine Familie am Ausgang der Wechselzone zu umarmen. Jan Frodeno liegt auf Platz 13 mit knapp 16 Minuten Rückstand nach ganz vorn.
DER MARATHON-KRIMI
Der Marathon verläuft als Wendepunktstrecke direkt an der Promenade - es sind 4 Runden á 10,5 Km zu absolvieren. Sam Laidlow hat einen lockeren Schritt, läuft druckvoll los, deutlich unter 4 min/Km. Die Frage ist: Hat er auf dem Rad überzockt? Wird er beim laufen "platzen" und wenn ja, wann? Laidlow kann seinen Vorsprung auf der ersten Runde sogar leicht ausbauen, Magnus Ditlev der erste Verfolger.
Die Patrick Lange Show?!
Der Einzige, der schneller läuft als der Franzose, ist Patrick Lange, obwohl er von seinem Trainer die Vorgabe hat, den Marathon verhalten zu beginnen, da die 42 Kilometer an der Promenade des Anglais extrem hart werden. Doch Lange arbeitet sich mit seinem gewohnten Laufstil konsequent nach vorn, sammelt die vor ihm liegenden Konkurrenten ein. Der Rückstand auf Laidlow schmilzt langsam, aber er schmilzt. Am Ende der ersten Runde sind es immer noch knapp 12 Minuten.
Auf der zweiten Runde kann Sam Laidlow sein hohes Anfangtempo nicht mehr anzaufrecht halten, musste die Pace etwas drosseln. Ditlev läuft als Zweiter hingegen konstant weiter und macht ca. 5 Sekunden pro Kilometer gut, der Abstand beträgt nach 21 Kilometern dennoch 5 Minuten. Patrick Lange läuft mit einer Pace von 3:35 km/min mit Abstand das höchste Tempo und ist damit ca. 20 Sekunden schneller als die vor ihm liegenden Athleten. Mittlerweile hat er sich auf Platz 4 vorgearbeitet. Sein Rückstand auf den Drittplatzierten Rudy von Berg ist auf unter 2 Minuten geschmolzen. Ditlev liegt ca. 3:30 Minuten vor ihm. Rückstand auf Laidlow: 9 Minuten. Der zweite Halbmarathon wird ein Krimi! Erinnerungen an die Hawaii Siege 2017 und 2018 werden wach...
Dritte Runde. Lange weiter auf dem Vormarsch. Bei Kilometer 28 überholt Patrick Lange den bis dahin auf drei laufenden Rudy von Berg. Lange also jetzt auf dem Podium. Magnus Ditlev sieht auch nicht mehr so frisch wie in der zweiten Runde aus, blickt öfter nach hinten. Patrick Lange kommt mit einem Wahnsinns-Tempo. Nach 33 Kilometern dann das Überholmanöver: Patrick Lange vorbei an Ditlev, jetzt also Zweiter hinter Laidlow. Rückstand knapp 6 Minuten. Reicht das noch???
Die letzte Runde. Patrick Lange gibt alles, reduziert den Abstand mit jedem Schritt. Doch Laidlow bricht nicht ein, läuft weiter sein Tempo und biegt schließlich als erster in den Zielkanal ein und gewinnt als erster Franzose den IRONMAN Weltmeistertitel in 8:06:22 Stunden.
Patrick Lange erreicht knapp vier Minuten später die Ziellinie und läuft mit einer Gesamtzeit von 8:10:17 Stunden und einem Marathon in 2:32:41 Stunden auf einen starken zweiten Platz.
Als Dritter kommt Magnus Ditlev in 8:11:43 Stunden ins Ziel.
JAN FRODENO: DER VORHANG FÄLLT
Obwohl er mit dem Ausgang des Rennens nichts mehr zu tun hat, genießt Jan Frodeno sichtlich den Marathon, klatscht Fans ab, bedankt sich beim Publikum, feuert Mitstreiter an. Im Ziel wird aus dem "Gladiator" der Familienvater Jan Frodeno. Er beendet seinen letzten Ironman als Profi als 24., doch Zeit und Platzierung spielen hier keine Rolle. Vielen Dank für eine wahnsinnige Zeit!